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Andreas Schager als Parsifal mit den Blumenmädchen in der Bayreuther „Parsifal“-Produktion 2017. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Andreas Schager als Parsifal mit den Blumenmädchen in der Bayreuther „Parsifal“-Produktion 2017. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
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Sängerfest zum Dumpingpreis: „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen

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Der dritte Festspielabend in Bayreuth brachte ein deutliches Primat der Musik. Bereichert um einige treffliche Neubesetzungen, wurde die „Parsifal“-Premiere zu einem umjubelten Sängerfest, wohingegen Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung auch im zweiten Jahr wenig Erhellendes bringt und seine Zitate aus vorhergehenden Inszenierungen letzteren Eindruck noch verstärken.

Bereits das szenisch nicht immer sinnvoll zur Erzählung der programmatischen Musik Wagners bebilderte Vorspiel zeigt, dass der Regisseur im Sinne der „Werkstatt Bayreuth“ weitergearbeitet und Veränderungen angebracht hat, ohne dass es sich dabei um echte Verbesserungen handeln würde. Die Flüchtlinge in Notbetten, rauchenden Soldaten und raufenden Gralsknappen sind ergänzt um forschende Archäologie-Studenten am Ort des Geschehens, dem verfallenden Gralstempel Monsalvat. Die zahlenmäßig den anderen hier herrschenden Religionen überlegene Glaubensgemeinschaft der Grals-Mönche ist gleichwohl derangiert und merklich in der Diaspora. 

Wie in Stefan Herheims legendärer Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung wird der Schwan gedoppelt mit einem Kind, hier einem Knaben im roten T-Shirt, der – parallel zum realistisch hereingetragenen, mit einem Pfeil aus Parsifals Armbrust erlegten Schwan –Opfer einer unsichtbaren Kugel geworden ist. Kundry setzt nach Parsifals Angriff hörbar ihren Atem ein, flößt dem Erschöpften aus einer Plastikflasche Wasser ein und schmiegt dabei ihren Busen an seinen Kopf.

Immer noch imposant ist das projizierte Video eines Google Earth-Fluges durch die Kuppel des Gralstempels bis in die Galaxis und zurück, wo inzwischen das Wasserbecken nach vorne geschoben und als Gralstisch zugedeckt und wurde. Hierauf wird Amfortas, der mit Dornenkrone und ausgebreiteten Armen in Jesus-Haltung posiert, ein Messer in die Wunde gestoßen; Blutbäche zu seinen Füßen fließen in eine Rinne rund um den Tisch, auf dass die Gralsritter in guter „Ozapft is!“-Manier damit ihre Kelche füllen können. Denn Titurel tritt hier nicht nur als Grabesstimme, sondern leibhaftig, als ein gewaltig böser Übervater in Erscheinung, ein Pendant zur Hexe Babajaga, und forciert mit den Schlägen seines Krückstocks auf den Gralstisch die Durchführung der Zeremonie.

„Arabia“ ist nicht ein Land jenseits, sondern überhaupt der Spielort dieser „Parsifal“-Handlung. Das wird spätestens deutlich, wenn Klingsors Reich im selben, nur durch ein Eckbassain erweiterten Tempel angesiedelt ist. Klingsor findet auf seinem Gebetsteppich trotz Handykompass zunächst nicht die richtige Ausrichtung nach Mekka. Der Angehörige der islamischen Religion sammelt christliche Devotionalien, insbesondere solche zum Flaggelieren und Masturbationskreuze, deren Ende in einen Phallus ausläuft.

Nach der Badeszenen-Verführung Parsifals durch Blütenblätter streuende, verführerisch gekleidete Blumenmädchen, die dafür ihre Burkas abgelegt haben, wird ein Restauranttisch hereingetragen, auf dem Parsifal beginnt, die sich ihm hingebende Kundry zu begatten, was dann für ihn der gefangene Amfortas (als Rückblende oder als Realität?) vollendet. Den von Klingsor herbeigeführten, anachronistischen Speer nimmt ihm Parsifal aus der Hand und zerbricht ihn, wie weiland Siegfried den von Wotan, hier aber, um damit ein Kreuz zu formen und um damit dann, wie zuvor Klingsor gegenüber Kundry, Exorzismus zu üben und schließlich die ihm folgende Soldateska anzuführen.

Problematisch bleibt weiterhin, dass Parsifal, dessen Soldatenuniform ihm von den Mädchen zum Baden ausgezogen worden war und der dann ein orientalisches Hängegewand angelegt hatte, für den erneuten Umzug ins Soldatenoutfit abgeht und die entscheidenden Informationen Kundrys, auf die er später verbal Bezug nehmen wird, nicht mitbekommt.

Das Bühnenbild des dritten Aufzugs könnte auf den ersten Eindruck auch als Dekoration zum dritten Aufzug von „Tristan und Isolde“, als Treibhaus und verfallende Burg Kareol, dienen. Aber darin gibt es einen fabrikneuen Rollstuhl und einen älteren Kühlschrank, den die aufgewachte Kundry, trotz ihres starken Parkinsonleidens, ausgiebig putzt.

Dass Gurnemanz über Titurels Tod in Tränen ausbricht, ist wohl nur seiner deutlich ausgespielten Senilität geschuldet.  Einen Monsunregen beim Karfreitagszauber genießen die ehemaligen Blumenmädchen als nackten Ringelreihen –im Gegensatz zu den derzeitigen Regengüssen vor Betreten und nach Verlassen des Festspielhauses sowie in den Pausen. Die anschließende Videoprojektion zur zweiten Verwandlungsmusik bleibt weiter inhaltlich fragwürdig: gealterte Köpfe von Kundry und Amfortas sowie die Totenmaske von Richard Wagner – wie sie, allerdings zwingender, im Film bei Syberberg und auf der Bayreuther Bühne bei Herheim zum Einsatz kam.

Das Schlussbild ist als Forderung des Regisseurs zu deuten, die gegensätzlichen Religionen über Bord zu werfen: Die beiden Gruppen des Herren-Doppelchores, in Mönchskleidung die eine, in Privatkleidung mit Attributen diverser Regionen die andere, werfen ihre Glaubensutensilien in jenen Sarg, in dem Titurels Überreste bereits zu Asche verfallen sind. Die Teile des Gralstempels fahren außer Sichtweite und von hinten strahlt Gegenlicht in den Bayreuther Zuschauerraum, so dass die Goldkanten der Säulen, aristokratischen Prunk vermittelnd reflektieren, worauf sukzessive auch die Leuchter aufblenden. Dabei löst sich spät Walter Kellers „Anarchismus im ‚Parsifal’“ ein, zumal der Haupthandlungsträger, wie zuvor bereits die Mitglieder der einzelnen Gruppen, jenen Ort verlassen haben, an dem es keinen Ritus, keine Zeugengüter, keine Religion mehr gibt, die Kampf, Zwist und Kriege auslösen könnte.
 
Im Schauspiel zum besseren Verständnis üblich, hier aber wenig hilfreich sind eine Reihe von Textänderungen, wie „mit List und Klugheit“ statt „mit List und Kühnheit“ oder – wohl aus szenischen Erwägungen –  statt „seht Kundry dort!“ das „kommt Kundry dort“, deren betontes „nur schlafen will ich“ statt „nur ruhen will ich“ oder Parsifals „brachten mich ab vom Pfade“ statt „zwangen mich ab vom Pfade“. Und auch Tempusänderungen, wie „Verfielst du heut’ zur rechten Zeit“ statt „verfallen heut’ zur rechten Zeit“ helfen dem Zuschauer kaum zu einem besseren Werkverständnis.

Weitaus spannender ist die musikalische Entwicklung gediehen. Hartmut Haenchen, der im vergangenen Sommer mit nur einer Orchesterprobe eingesprungen war, ist ein großartiger musikalischer Sachwalter, der Bühne und Graben sicher durch Höhen und Tiefen seiner stets fulminanten Interpretation führt. Anstelle von Klaus Florian Vogt gestaltet diesmal Andreas Schager den Parsifal. Wenn er im ersten Aufzug auftritt, ist er zwar ein merklicher Tor, aber sein stimmliches Kaliber verrät gleich, über welche Kapazitäten der junge Held verfügt. Diesen stimmlichen Elan, gerne im Forte und Fortissimo, hält er bis zum Ende strahlend durch. 

Elena Pankratova als Kundry, stimmlich nuanciert, hat an Textverständlichkeit zugelegt und Schärfen abgebaut, eine überaus beachtliche Leistung. Die Partie des Klingsor wird oft mehr charakterisiert als gesungen; Derek Welton singt sie voll aus und überzeugt obendrein in der Gestaltung. Berechtigten Jubel erntet auch in diesem Jahr Georg Zeppenfeld für seinen klar prononcierten, mit Bass-Fundament trefflich gestalteten Gurnemanz. Ryan McKinni als Amfortas ist ein sehr diesseitiger, im Auftrag seiner Ideologie immer wieder auch zum Leiden verurteilter Lebemann von kraftstrotzender Natur und Stimmentfaltung. 

Günther Groissböck zeichnet Titurel, den Erbauer der Burg Monsalvat, als einen Furcht einflößenden, kraftvoll polternden, christlich sektiererischen Fundamentalisten. Homogen die Solistinnen der Blumenmädchen, von denen zwei – Alexandra Steiner und Mareike Morr  – auch als Knappen angenehm auffallen, während die beiden Gralsritter, Tansel Akzeybek und Timo Riihonen, trefflich singen aber im Spiel unterbelichtet bleiben. Und auch an diesem Abend wieder großartig differenzierend und stimmgewaltig der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor.

Beim heftigen, lang anhaltenden Applaus des Premierenpublikums ist der Regisseur sichtlich erleichtert, als sich bei seinem Erscheinen auch ein paar zaghafte Buhrufe vernehmen lassen – weit entfernt von jedem Buh-Sturm, in dem bekanntlich nur Frank Castorf minutenlang ausgiebig zu baden gewohnt ist.

Kurz vor der Premiere – dies ist im zweiten Jahr einer Neuinszenierung ein verblüffendes Novum – wurden eine Menge Eintrittskarten unterschiedlicher Kategorien, teilweise zu Dumpingpreisen angeboten; dies insbesondere als Tipp für jene, die gerne die Festspiele besuchen würden, aber noch keine Karten haben.

Weitere Aufführungen: 5., 14., 21. und 25. August 2017.

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